Immobilienrisikomanagement - ein wichtiges Frühwarninstrument

Seit Jahren gilt Deutschland als sicherer Hafen für Investoren - stabile politische Verhältnisse und gesundes Wirtschaftswachstum gepaart mit einem historisch niedrigen Zinsniveau tragen dazu bei, dass Immobilien in Deutschland die wesentliche Form der (institutionellen) Kapitalanlage darstellen.

Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht zunehmender wirtschaftlicher und (steuer-) rechtlicher Komplexität stellt sich allerdings die Frage, warum nach wie vor nur wenige Marktteilnehmer ihre Investitionsobjekte einer systematisch gründlichen Risikoanalyse, -bewertung und –kontrolle unterziehen. Dass Immobilien-Risikomanagement zunehmend wichtiger wird, zeigen nicht zuletzt die Krisen und Exzesse der jüngeren Vergangenheit. Von der Finanz- bzw. Staatsschuldenkrise und geopolitischen Herausforderungen ganz zu Schweigen...

Gilt etwa die beim Ankauf gebotene Due-Diligence-Untersuchung inzwischen auch in Deutschland als Standardvorgehensweise, erstellen bislang beinahe ausschließlich die großen institutionellen Investoren ein auf den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie abziehendes Risikomanagement. Die Gründe dürften neben einer oberflächlichen Vorbereitung auf die Investition in einem nach wie vor zu geringen Risikobewusstsein und in der Scheu vor den Kosten eines Immobilien-Risiko-Systems zu suchen sein.

Eine Voraussetzung für den Erfolg

Risikomanagement gilt in einer Zeit des schnellen technologischen und gesellschaftlichen Wandels als grundlegende Voraussetzung für den langfristigen Unternehmenserfolg. Für jeden Unternehmer, jedes Unternehmen ist es wichtig, die eigenen Bandbreiten für selbst zu tragende Risiken zu bestimmen und eine klare Übersicht über das Gesamtrisiko zu haben. Grundsätzlich sollte jeder Immobilieneigentümer an einem Früherkennungssystem interessiert sein. Gesetzlich dazu verpflichtet sind Investoren nur unter bestimmten Voraussetzungen.

Adressaten für ein Immobilien-Risikomanagement-System sind demnach institutionelle Immobilieneigentümer, also Banken, Versicherungen, Immobilien-AGs, offene und geschlossene Immobilienfonds, Pensionskassen, Vermögensverwaltungen sowie Projektentwicklungsgesellschaften. Aber auch Privatinvestoren sollten Interesse an einem professionellen Umgang ihrer Immobilien unter risikospezifischen Gesichtspunkten haben. An Immobilien indirekt beteiligte Investoren wie Aktionäre von Immobilien-AGs sollten ebenfalls Interesse an einem aktiven Risikomanagement-System „ihres“ Unternehmens haben.

Mit Einführung des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) im Mai 1998 wurden die Vertreter bestimmter Unternehmen erstmals gesetzlich verpflichtet, ein Überwachungssystem zur Früherkennung existenzgefährdender Entwicklungen einzurichten. Mit dem KonTraG wurden Unternehmen außerdem verpflichtet, im Lagebericht auf die Risiken der künftigen Unternehmensentwicklung einzugehen. Ohne ein Risiko-Früherkennungssystem ist dies kaum erfüllbar.

Die Umsetzung des Risikomanagement-Systems wird von Wirtschaftsprüfern im Rahmen der Abschlussprüfung gecheckt. Versäumnisse bei der Einrichtung eines solchen Risikomanagement-Systems können bei prüfungspflichtigen Unternehmen zu einem Versagen des Bestätigungsvermerks führen .Damit wären etwa Gewinnausschüttungen oder Kreditaufnahmen unmöglich. Neben dem KonTraG gibt es inzwischen eine Vielzahl weiterer Regulierungen, die ein professionelles Risikomanagement erfordern. Bspw. seien genannt: AIFM-Richlinie, MaRisk, Basel II / Basel III, usw.

 

Risikomanagement bedeutet, dass alle wesentlichen Risiken permanent erfasst und an den Entscheidungsträger berichtet werden. Der Überwachungsprozess ist zu dokumentieren und regelmäßig auf seine Tauglichkeit zur Erfassung der wesentlichen Risiken zu überprüfen. Der Dokumentation der identifizierten Risiken kommt dabei ebenso eine tragende Rolle zu, wie den Verfahrensbeschreibungen über den Umgang mit diesen Risiken.

Die Aufgabe ist unter Annahme realistischer Parameter ​das aktuelle bzw. mögliche Risikopotenzial aufzuzeigen. Dies kann anschließend als strategische Entscheidungsvorlage dienen. Durch Früherkennung neuer Risiken sowie durch einen effektiveren Umgang mit bekannten Risiken wird die Aussagekraft eines Risikomanagement-Systems verbessert und damit letztendlich die Qualität der Entscheidungen des Investors positiv beeinflussen.

Die Qualität von Entscheidungen steigern

Anhand des Einzelrisikos „Mieterausfall“ werden nachfolgend die einzelnen Schritte eines Risikomanagement-Systems beispielhaft dargestellt:

·         ​Risiken definieren: Am Anfang steht die Festlegung darauf, welche Risiken für den Investor relevant sind und wie damit umgegangen werden soll. Die so definierte Risikopolitik sollte unbedingt in einem Handbuch dokumentiert werden. Beispielsweise kann die Restlaufzeit eines bestehenden Mietvertrages ein wesentliches wirtschaftliches Risiko einer Immobilieninvestition darstellen.

·         ​Risiken identifizieren: Anhand einer Prüfung der vorhandenen Mietverträge lassen sich die Restlaufzeiten ermitteln. Die wesentlichen Mietvertragsbestandteile sollten in einem Mietvertragsspiegel dokumentiert sein.

·         Risiken analysieren /bewerten: Je nach Risikopolitik eines Investors entsteht nun entsprechender Handlungsbedarf. Ein risikoscheuer Investor wird eher frühzeitig versuchen, eine Verlängerung des Mietvertrages zu erreichen, um Leerstand zu vermeiden. Ein risikofreudiger Investor hat die Möglichkeit, über einen auslaufenden Mietvertrag bzw. neuen Mieter einen höheren Mietzins zu erzielen. In einem Wiedervorlagesystem sollte auf jeden Fall festgehalten werden, ab wann Handlungsbedarf besteht.

·         Risiken klassifizieren: Für eine überschaubare Darstellung aller Risiken bietet sich die Einteilung in verschiedene Risikoklassen an. Beispielsweise kann man die Risiken in externe (Rechtsprechung, Steuern. Politik ...) und interne (wirtschaftliche, technische...) Risiken unterteilen. Eine Einteilung in einzelne Phasen des Lebenszyklus einer Immobilie ist ebenfalls denkbar. Das Einzelrisiko „Mieterausfall“ stellt ein wirtschaftliches Risiko dar, welches der Lebenszyklusphase „Nutzung" zugeordnet werden kann.

·         Risiken dokumentieren: Ein effizienter und effektiver Umgang mit den ermittelten Risiken ist nur möglich, wenn diese schriftlich festgehalten sind und Handlungsalternativen bzw. Vorschläge zur Risikovermeidung gegeben werden (strategische Ebene). Hier wird klar, dass der Dokumentation eine zentrale Rolle bei der Implementierung eines Immobilien-Risikomanagement-Systems zukommt. Für den Umgang mit den Restlaufzeiten bestehender Mietverträge bietet sich an, die wesentlichen Vertragsbestandteile in einem Mietvertragsspiegel zu dokumentieren. Ein Wiedervorlagesystem gewährleistet rechtzeitiges Handeln.

·         Risiken beseitigen /minimieren: Durch regelmäßig stattfindende Mietergespräche lässt sich das Risiko des Mieterausfalls minimieren. Kennt der Vermieter die wirtschaftliche Situation des Mieters und hat er darüber hinaus ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihm, kann er auf Veränderungen (Wachstum, IT-Anforderungen etc.) frühzeitig reagieren. Im Beispiel könnte dies entweder die Verlängerung des bestehenden Mietvertrages bzw. das frühzeitige Anbieten frei werdender Mietflächen bedeuten.

·         Risiken kontrollieren: Ein Immobilien-Risikomanagementsystem ist kein statisches Papier, alle festgestellten Änderungen müssen berücksichtigt und in der Dokumentation entsprechend fortgeschrieben werden. Insofern sollte mindestens einmal jährlich ein Soll-Ist-Vergleich durchgeführt werden, um Abweichungen festzustellen bzw. neu entdeckte Risiken mit einbinden zu können. Ein solches Überwachungssystem soll gefährliche Entwicklungen frühzeitig erkennen helfen, aber auch in der Lage sein, Marktchancen aufzuspüren und so den Immobilienwert nachhaltig zu sichern.

Vernetzt denken und handeln

Anhand dieses Beispiel wird klar, dass Risikomanagement ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Investitionen ist. Die strategische Planung, Steuerung und Kontrolle einer Immobilieninvestition verlangt vernetztes Denken und Handeln über den kompletten Lebenszyklus einer Immobilie. EDV-unterstützte Früherkennungssysteme sollen dem Anspruch gerecht werden, mögliche Gefahren rechtzeitig zu erkennen. Damit soll ein angemessener Reaktionsspielraum für Maßnahmen der Krisenvermeidung geschaffen werden, bevor eine Krisensituation wirtschaftliche Schäden verursachen kann.

Vor einigen Jahren hat der Arbeitskreis „Immobilien-Risiko-Management“ der gif Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche Forschung e.V.  einen ausführlichen Fragebogen zur Risikoidentifizierung und –klassifizierung erarbeitet, damit ausgewiesene Profis, aber auch unerfahrene Immobilieninvestoren für das Thema sensibilisiert und in die Lage versetzt werden, sich ein Bild über das Risiko des Bezugsobjektes zu verschaffen.

Diese 2001 erschienene „Empfehlung zur Analyse von Immobilienrisiken“ (EAI) wurde 2009 ergänzt um das Arbeitspapier „Implementierung Immobilien Risikomanagement“. Mit der EAI wurden erstmals sämtliche relevante Immobilienrisiken identifiziert und entlang des Lebenszyklus einer Immobilie katalogisiert. Das Arbeitspapier "Implementierung Immobilien-Risikomanagement" enthält allgemein gültige Vorschläge, wie ein Risikomanagementsystem in der Praxis aussehen und errichtet werden kann.

Erfolgreicher Neustart der KG IRM am 30. März 2017

Ende März 2017 haben sich 30 Immobilienprofis aus Theorie & Praxis in Frankfurt zur Reaktivierung der Kompetenzgruppe Immobilienrisikomanagement (KG IRM) getroffen. Am 22. Juni fand mit ähnlich hoher Beteiligung die zweite Sitzung statt.

Kurz- bis mittelfristiges Ziel der KG IRM ist die Identifikation und Beschreibung relevanter Risikokennzahlen, einhergehend mit der Entwicklung passender Benchmarks sowie deren Zusammenfassung in einem Risikokennzahlenkatalog.

Basis jedes Risikomanagementsystems sind die zugrundeliegenden Vermögenswerte - bei uns also die einzelne Immobilie. Insofern ist es absolut sinnvoll und auch der eingeschlagene Weg der KG IRM, zunächst die Risikokennzahlen inkl. Benchmarks auf Objektebene zu erarbeiten. Anschließend kann dann auf Portfolio- bzw. Fondsebene aggregiert werden. Bis hier stehen finanzmathematische, quantitative Risikogrößen im Vordergrund. Normative Risikogrößen erarbeitet die KG IRM nach Abschluss des vorgenannten Risikokennzahlenkatalogs.

Aufgrund der Komplexität des Themas wurde verabredet, in Phase 1 dieses Risikokennzahlensystem auf nachstehende Bereiche zu begrenzen:

·         Projektentwicklung (nicht spekulativ)

·         Bestandsobjekte und –entwicklung

jeweils für die Nutzungsarten Büro und Wohnen. Als roter Faden sollen dabei anonymisierte Praxisbeispiele / Wirtschaftlichkeitskalkulationen dienen. Im Anschluss daran soll dann entschieden werden, ob und wenn ja auf welche Nutzungsarten dieser Katalog erweitert wird. Im Vordergrund steht dabei die Nutzbarkeit der Ergebnisse für den täglichen Umgang mit Immobilienrisiken.

Langfristig wird sich die KG IRM weiterer Aspekte des Immobilienrisikomanagements bspw. aus den Bereichen Recht, Technik widmen.

Beitrag zur Standardisierung und Professionalisierung

Nicht erst seit Ausbruch der Finanzkrise ist sich ein Großteil der Immobilienbranche darüber bewusst, dass ein professioneller Umgang mit Risiken zwingend erforderlich ist. Die Regulierungsbehörden tragen – wie gezeigt - ihren Teil dazu bei. Dennoch herrschen immer noch unternehmensspezifische Insellösungen vor. Anspruch der KG IRM ist, dies zu ändern und somit - ähnlich wie in anderen Kompetenzgruppen der gif  - einen Beitrag zur Standardisierung und Professionalisierung in der Immobilienbranche zu leisten.

So erschienen in "gif im Fokus" 2/2017 zum Thema Risiko